Atem ist Leben
Ganz selbstverständlich begleitet er uns von der Geburt an bis zu unserem Tod – und gilt dabei von unserem ersten bis zu unserem letzten Atemzug als das hörbare, sichtbare und spürbare Zeichen von Leben. Doch oft wird uns unser Atem erst bewusst, wenn wir in „Atemnot“ gelangen, wir „außer Atem“ sind, es uns den „Atem verschlägt“ und wir vor Angst den „Atem anhalten“ – oder wir vor Erleichterung „aufatmen“, wieder „zu Atem kommen“ und endlich wieder „durchatmen“ können.
Unser individueller Atemrhythmus spiegelt unsere aktuelle Lebenssituation, aber auch unsere Geschichte. Eng verflochten mit dem vegetativen Nervensystem reagiert er unmittelbar auf alles, was uns innerlich und äußerlich bewegt – wie Freude, Glück, Anstrengung, Aufregung, Wut, Traurigkeit, belastende Gedanken, Schmerzen oder Angst. Das bedeutet umgekehrt, dass sich körperliche, seelische und geistige Dysbalancen und Verspannungen auch über den Atem wieder lösen lassen.
Durch ihren ganzheitlichen Ansatz macht die Atemtherapie diese Veränderungen bewusst, lässt uns so die Verbindung zu unserem Atem wiederfinden und uns dadurch mit uns selbst in Kontakt kommen. Der natürliche Atem wird in seinem Rhythmus, seinem Fluss, in seiner Tiefe und seiner Intensität aktiviert, gestützt und gestärkt. Dadurch können die Selbstheilungskräfte in uns angeregt werden.
Palliative Atemtherapie – Leiden lindern und Lebendigkeit spürbar machen
Als ganzheitliche Behandlungsweise ist die Palliative Atemtherapie auf die besonderen Bedürfnisse von Schwerkranken und Sterbenden ausgerichtet und gehört inzwischen in den anerkannten Kreis komplementärer Therapien wie Musik- und Kunsttherapie, Physiotherapie und Klangmassage.
Der Begriff palliativ leitet sich vom lateinischen Nomen pallium, „Mantel“ ab und bedeutet wörtlich „ummantelnd“ oder auch „einhüllend“. So ist es das Anliegen palliativer atemtherapeutischer Begleitung, die Nöte und Bedürfnisse der Betroffenen in ihrer Vielfalt zu erkennen, ihre Leiden zu lindern und Lebendigkeit spürbar zu machen. Über die achtsame Berührung und das Erleben des eigenen Atems – oftmals das Einzige, was am Lebensende bleibt – kann der Mensch in seinem körperlichen, seelischen, geistigen und spirituellen Sein erreicht werden.
Der Atem als schwingendes Band zwischen Körper, Seele und Geist
Vielen Betroffenen raubt es im wahrsten Sinne des Wortes den Atem. Durch die Krankheit bzw. den Sterbeprozess sind sie kurzatmig, atemlos oder halten immer wieder die Luft an. Es ist wie ein „gehalten sein“ im Atem, verbunden mit dem Versuch, sich innerlich zu halten.
In der Atemschwingung wird deutlich, was ist – auf jeder Ebene. Wie ein Mensch Schmerzen und Leiden verarbeitet, wie er innerlich mit Krankheit, dem Sterben und auch mit dem nahenden Tod umgeht. „Der Atem ist das schwingende Band zwischen Körper, Seele und Geist“ – so hat es schon der Religionsphilosoph Romano Guardini auf den Punkt gebracht. Es braucht kein gesprochenes Wort und durch die meist non-verbale Kommunikation während der Behandlung ist es auch möglich, Menschen zu erreichen, die sich nicht mehr äußern können. Atemtherapie – im Sinne von Begleitung – bezieht sich immer auf den ganzen Menschen, indem die körperlichen, seelischen und geistigen Aspekte sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in ihrer Beziehung zueinander umfasst werden.
Dasein, Wahrnehmung und Berührung
Die palliative atemtherapeutische Begleitung basiert auf dem Dasein, dem Wahrnehmen dessen, was ist und der achtsamen Berührung in Atembehandlungen, Atemangeboten und Gesprächen. Die Schwingung des Atems wird mit den Händen aufgenommen, begleitet und unterstützt – ein „non-verbales“ Gespräch entsteht: mit fließenden Streichungen, geführten Bewegungen, sanftem Druck, leichten Massagen und immer wieder ruhendem, bleibendem Kontakt der Hände auf dem Leib.
In dieser Weise berührt zu werden, unterstützt ein tieferes Erleben von sich selbst, dem inneren Fluss und Rhythmus. Das Dasein, die Berührung und die Arbeit mit dem bewussten Atem ermöglichen es, sich dem Geschehen zu überlassen, sich hinzugeben, innerlich mitzugehen und da zu sein. Und so immer mehr Ja sagen zu können zu dem, was ist.
Möglichkeiten des Erlebens und der Erfahrung palliativer atemtherapeutischer Begleitung
- Linderung von Beschwerden wie Atemnot, Übelkeit, Schmerzen
- Lösung von Bewegungseinschränkungen
- Ausgleich emotionaler Zustände wie Unruhe, Angst, Trauer
- Erleben von Ruhe und Frieden, Wärme, Nähe, Geborgenheit, Halt und Trost
- Erweiterung der Wahrnehmung auf gesunde, heile Bereiche
- Stärkung von Ressourcen und Selbsthilfekompetenz
- Unterstützung im Abschiednehmen, Loslassen und im Sterbeprozess
Dieser begleitende Weg ist auch ein Angebot für die Angehörigen und das soziale Umfeld.
Verfasserin:
Nicola Beckmann, Atemtherapie
Beratung, Betreuung, Begleitung
Bestattungen Hanrieder