Im Fokus: Reerdening
Die schönste Art zu bleiben- verspricht das junge Start-up-Unternehmen Circulum Vitae auf seiner Website „Meine Erde“. Mit Reerdening haben die beiden Geschäftsführer Pablo Metz und Max Hüsch eine Bestattungsform entwickelt, die „natürliche, ursprüngliche Prozesse mit grüner und modernster Technologie verbindet“. Der Körper des verstorbenen Menschen wird dabei eins mit der Natur. „Er wird zum Nährboden für neues Leben“.
Was ist Reerdening?
Mit Reerdening wird ein ökologisch neuartiger Ansatz im Bestattungswesen verfolgt.
Der verstorbene Mensch wird weder eingeäschert noch erdbestattet. Er wird in einen sogenannten ca. 2,50 m langen Kokon aus Edelstahl gelegt, der lediglich mit Grünschnitt und Stroh ausgelegt ist. Blumen sind eine willkommene Beigabe.
Im Kokon zersetzen körpereigene Mikroorganismen auf natürliche Art und Weise den Körper. Sie produzieren konstant 70 Grad Celsius und schaffen damit die idealen Bedingungen für eine sichere und hygienische Transformation. Dabei ist keine zusätzliche Energiezufuhr notwendig.
Strom, Wasserzufuhr und technisches Gerät werden lediglich für die Überwachung der Sensoren benötigt, mittels derer Feuchtigkeit, Sauerstoff und Temperatur im Kokon kontrolliert werden.
Transformation zu Erde in 40 Tagen
In den optimalen Bedingungen dieses Kokons vergeht der Körper – einschließlich Knochen und Zähne – in nur 40 Tagen. Was bleibt, sind an die 100 Kilogramm fruchtbare Erde.
Um zu gewährleisten, dass diese Erde feinrieselig ist, bevor sie ausgebracht wird, wird sie – ebenso wie mögliche Zahn- oder Knochenfragmente – nochmals verfeinert.
Die letzte Ruhe auf dem Friedhof
Nach Abschluss der Transformation wird die neue Erde, die beim Reerdening entstanden ist, auf einem Friedhof eingebracht. Dies ist gemäß der deutschen Friedhofspflicht so vorgesehen. Das Einbringen der Erde in einer Grabstelle, z.B. einem Urnengrab, kann mit oder ohne Tuch erfolgen.
Als Blaupause für Reerdening gilt der Friedhof Mölln in Schleswig-Holstein. Hier wurde Deutschlands erstes und bislang noch einziges Alvarium, (dt. „Bienenstock“) d.h. ein Gebäude in dessen Inneren sich der Kokon befindet, eingerichtet. Im Februar 2022 wurde dort zum ersten Mal ein Mensch reerdigt.
Reerdening im Kreislauf der Natur
Die Idee der Gründer von „Meine Erde“ ist, dass die Angehörigen auf der Grabstelle ein Rosenstöckchen, ein Bäumchen, Lieblingsblumen oder Ziergewächse pflanzen und somit durch Reerdening der Kreislauf der Natur vollendet wird.
Nachgehakt: 5 (kritische) Fragen an Ralf Hanrieder
Ralf Hanrieder: Letztendlich ist Reerdening eine beschleunigte Form der Erdbestattung. Wird bei der klassischen Erdbestattung der Körper – überwiegend mit Sarg – in das Erdreich eingebracht, entfällt beim Reerdening der Sarg. Hier wird der Körper in einem Kokon auf Stroh und Grünschnitt gebetet. Gemeinsam ist beiden, dass der Vergänglichkeitsprozess (Autolyse) des Körpers auf natürliche Art und Weise erfolgt und sich der Naturkreislauf schließt. Aus meinen Beratungen weiß ich, dass für viele Angehörige gerade die Beerdigung im Sarg der ausschlaggebende Faktor für eine klassische Erdbestattung ist. Der Sarg gilt in ihren Augen als Garant dafür, dass die Unversehrtheit des Körpers des geliebten Menschen möglichst lange gewahrt bleibt. Für diese Gruppe wird Reerdening – meiner Meinung nach – nicht in Frage kommen.
Was Reerdening als Alternative zur Feuerbestattung angeht, will ich nur kurz anmerken, dass die Feuerbestattung schon seit Jahren die gängigste Bestattungsform ist. Selbstverständlich ist der CO2 Ausstoß bei einer Einäscherung unter Umweltfaktoren bedenkenswert, aber auch hier zeichnet sich ein Trend ab. Die Möglichkeiten der klimaneutralen Feuerbestattung, wie dies beispielsweise die Feuerbestattung Südostbayern anbietet – wir arbeiten seit Jahrzehnten zusammen – und die mittlerweile gängigen Naturstoffurnen, erlauben eine ökologische und ressourcenschonende Feuerbestattung. Die wichtigsten Entscheidungskriterien für diese Bestattungsform sind meiner Erfahrung nach, zeitliche und örtliche Flexibilität. Hier bietet Reerdening noch keine Alternative.
Welche Menschen könnte Reerdening ansprechen?
Ralf Hanrieder: Da in vielen Kultur- und Religionskreisen die Feuerbestattung die zentrale Bestattungsart darstellt und die Strukturen für die herkömmlichen Bestattungsarten bestens vorhanden sind, denke ich, dass Reerdening gegenwärtig nur einen Promillebereich der Gesellschaft ansprechen wird. Also Menschen, die konfessionell eher nicht gebunden sind, die Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen sind, die sehr flexibel sind und über einen guten finanziellen Hintergrund verfügen.
Die Kosten für Reerdening werden auf der Seite „Meine Erde“ mit € 2.100,- angegeben. Ist damit denn alles abgedeckt?
Ralf Hanrieder: Bei weitem nicht! Bestattungskosten setzen sich aus mehreren Kostenblöcken zusammen.
- Die Eigenleistungen eines Bestattungsunternehmens wie z.B. Überführungen, Verabschiedung / Trauerfeier, Trauerkorrespondenz (Trauerkarten, Erinnerungsbildchen) etc. Zu beachten ist, dass auch beim Reerdening ein Sarg für die Überführung in das Alvarium benötigt wird.
- Die Kosten für Fremdleistungen wie z.B. Blumen, Traueranzeigen etc.
- Die amtlichen Gebühren: Da nach dem Transformationsprozess die neue Erde in einer Grabstelle auf einem Friedhof eingebracht werden muss, fallen für Grabkauf/Grabverlängerung und Beisetzung die entsprechenden Gebühren der jeweiligen Friedhofsverwaltung an. Und diese sind – deutschlandweit betrachtet – sehr unterschiedlich.
Nach derzeitigem Stand wäre – meiner Einschätzung nach – Reerdening unter Berücksichtigung aller anfallenden Kosten und Gebühren relativ teuer.
Was ist Ihrer Erfahrung nach für Angehörige am wichtigsten, um mit ihrer Trauer gut umgehen zu können? Die Art der Bestattungsform oder eher Abschiednahme und Trauerfeier?
Ralf Hanrieder: Der letzte Blick auf das ruhende Gesicht eines Verstorbenen entscheidet mit über die Erinnerung, in der der Verstorbene bleiben wird.
Damit möchte ich ausdrücken, dass die Abschiednahme ein ganz wichtiger und zentraler Bestandteil des Verabschiedens ist. Gleichfalls ist die Gestaltung der Trauerfeier mit all ihren vielfältigen und individuellen Formen ein Weg zum geglückten Abschied. Die Bestattungsform ist für diesen Weg nur zweitrangig.
Wie stehen Sie persönlich zu dieser neuen Bestattungsform?
Ralf Hanrieder: Das Projekt einer klimaneutralen Feuerbestattung, der Feuerbestattung Südostbayern, sollte auf alle Krematorien angewandt werden, um weltweit unseren blauen Planeten auch im Bereich der Bestattung sorgsam und achtsam zu behandeln. Die Trauer um einen geliebten Menschen sollte bewusst gelebt werden, um irgendwann Dankbarkeit dafür zu spüren, dass man den Verstorbenen ein Stück seines Weges begleiten durfte und dadurch das eigene Leben bereichert wurde.
Gelingt uns dies, brauchen wir keine neuartigen Bestattungsformen.
Wir danken für das Gespräch.